Ein altbairischer Riemenschneider

Vor 500 Jahren wirkte der Bildhauer Hans Leinberger in der Gegend von Landshut

Es dürfte gerade 500 Jahre her sein, dass Hans Leinberger, einer der größten Bildhauer der Spätgotik, in der Gegend von Landshut sein künstlerisches Wirken begonnen hat. Genau wissen wir das allerdings nicht. Dass wir überhaupt seinen Namen kennen, ist einem Münchner Domkapitular zu verdanken. Dr. Joachim Sighart veröffentlichte kurz nach Fertigstellung der Bahnstrecke zwischen München und Landshut 1859 ein "Eisenbahnbüchlein". Darin wies er die "Reisenden, welche auf den Flügeln des Dampfrosses die große Isarebene und damit das bedeutendste Stück Altbayerns durchziehen", auf den Hochaltar des St. Kastulus Münsters in Moosburg hin, ein Hauptwerk der Spätgotik. Bei der Frage nach dem Künstler musste er allerdings bedauernd feststellen, dass "wir leider den Namen nicht errathen" können, dass es aber sicherlich ein Landshuter Bildschnitzer war, der diesen großartigen Altar geschaffen hat. Und dann erwähnte er noch, dass er auf anderen Moosburger Skulpturen ein Monogramm "HL" gefunden habe.

Sighart, der zuerst Professor am Lyzeum in Freising war, forschte weiter und entdeckte wenig später auf Rechnungen aus dem Jahr 1519 den Namen eines Landshuter Schnitzers "Hans Lemberger". Er befand, dass dieser mit dem in Moosburger Stiftsurkunden gefundenen "Meister Hanns Bildschnitzer" identisch sei und ordnete ihm den Moosburger Hochaltar zu. Das Urteil des kunstsinnigen Domherrn fand in der Folgezeit auch die Zustimmung der Kunsthistoriker. Die Fachwelt einigte sich schließlich auf den Namen Hans Leinberger, nachdem in einigen anderen Dokumenten der zweifelsfrei gleiche Mann abwechselnd noch als Leinperger, Leynnperger, Laiberger, Lenberger und Lainberger aufgetaucht war.

Die historischen Zeugnisse über Leinbergers Leben und Wirken sind nach wie vor spärlich. Sie geben nur Aufschluss über seine Tätigkeit zwischen 1510 und 1530. Es ist anzunehmen, dass er etwa um 1480 irgendwo in Altbaiern geboren wurde und bald nach 1530 gestorben ist. Wie bei Tilman Riemenschneider, dessen Werke fast ausschließlich in Franken zu finden sind, ist auch Hans Leinbergers Wirkungskreis regional begrenzt. Das Zentrum war Landshut, bis 1545 Residenzstadt der bayerischen Herzöge.

Leinbergers Hauptwerk unter all den Arbeiten, die ihm heute von den Kunsthistorikern zugeschrieben werden, ist zweifellos der Hochaltar im Moosburger St. Kastulus Münster. Kastulus war ein römischer .Palastbeamter, der am 26. März 286 oder 293 den Märtyrertod starb. Um 800 brachten die Moosburger Mönche Albuin und Reinbert seine Gebeine über die Alpen. Seither wird er vorwiegend in der Hallertau als bäuerlicher Nothelfer gegen Hochwasser, Blitz, Viehseuche und Pferdediebe verehrt. Szenen aus seinem Leben schildern vier Lindenholzreliefs links und rechts vom Hochaltar. 1938/39 wurde die Farbe von den ursprünglich ungefassten Figuren entfernt. Seither kann man bewundern, wie Leinberger alle malerischen Brechungen des Lichts durch feinste Auflockerungen aus der Oberfläche des Holzes herausholt. "Da zeigt das blanke Holz geriffelte, gepunzte, ziselierte, getriebene Rüstungen und Helme von Kriegern, runzelige, faltige und glatte Haut in Gesichtern, fließendes Tuch, geflockten Pelz, grobwollenen Stoff und faserigen Strick. Haupthaar und Bärte sind überzeugend als gelockt, gekräuselt, verfilzt und strähnig dargestellt". So beschreibt Hans Thoma in seinem 1979 erschienenen Leinberger-Buch die Kastulus Reliefs, die trotz gemäldehafter Konzeption und nur flacher Hervorhebung ungemein plastisch wirken.

Holz ist das bevorzugte Material, mit dem "Meister Hanns Bildschnitzer" arbeitet. Er gestaltet damit Relieftafeln und voll oder halbrunde Figuren von Madonnen und Heiligen. Die bedeutendsten Muttergottesdarstellungen entstehen für den Moosburger Hochaltar, für die Kapelle des Kaiserhofs in Neumarkt-St.Veit und für das St. Martinsmünster in Landshut. Leinbergers Madonnen und Heilige sind erdhaft menschlich, bodenständig. Der Betrachter kann so in ihnen verständnisvolle Mittler sehen. Seine Jesuskinder sind derb speckige Kleinkinder mit bäuerlich breiten Gesichtern unter dicht geschneckeltem Haarschopf.

Realistisch sind auch Leinbergers Kreuzdarstellungen, von denen allein drei im Moosburger Münster zu finden sind. Das bedeutendste Kruzifix hängt jedoch am Chor der Johannes Kirche in Erding. Mit seinem über zweieinhalb Meter hohen Corpus hat es außergewöhnliche Maße. Obwohl auf Fernsicht geschaffen, ist es bis in kleinste Details durchgestaltet. Die Kruzifixe haben schwere und untersetzte Körper mit starkem Knochenbau. Der mächtige Brustkorb mit stark hervortretenden Rippenbögen strebt nach oben trapezförmig auseinander. Zum Zerreißen gespannte Sehnen treten an überdehnten Armen daumendick hervor.

Die Passion ist ein bevorzugtes Thema der späten Gotik, die überleitet in die beginnende Renaissance. Es ist eine Zeit des Umbruchs mit den geistigen Strömungen des Humanismus und der Reformation. In Bayern bezieht die "Donauschule", in deren Einfluss Leinberger gerät, lebensnah Landschaft, Wetterstimmung, Farbe, Licht und Bewegung in die Szenerie ihres künstlerischen Hauptmotivs mit ein. Der jüngere Lucas Cranach und Albrecht Altdorfer sind die bekanntesten Meister dieser Richtung. Leinbergers heute leider stark verwittertes Grabmal der Barbara Nothaft im Landshuter Martinsmünster verrät sehr deutlich die Beziehung zur Donauschule. Es zeigt die Szene des Abschieds Christi von seiner Mutter. Wie die anderen Epitaphe, die Meister Hanns zugeschrieben werden, ist es aus Kalksandstein.

Versucht hat sich Leinberger auch am Bronzeguss. Er scheint aber die Technik nicht ganz beherrscht zu haben. Zwei erhaltene Gießfiguren, eine Madonna und ein Johannes weisen starke Gussfehler auf. Dennoch gibt es einen ganz hervorragenden Bronzeguss Leinbergers: den Grafen Albrecht von Habsburg, einen der berühmten "Eisernen Mander" in der Innsbrucker Hofkirche. Leinberger wollte ihn in Landshut zunächst selbst gießen. Offenbar ohne Erfolg. Ein Beleg bezeugt, dass er das Kupfer, das ihm nach Landshut geschickt worden war, wieder nach Innsbruck zurücküberstellte. Den Guss führte dann 1508 Stephanus Godl in der Gießhütte von Mühlau in Tirol aus wohl in Leinbergers Anwesenheit und nach dessen lebensgroßem Holzmodell.

Dank der Forschungsarbeit der Kunsthistoriker ist es gelungen, einen der größten Bildhauer der Spätgotik, der nachgewiesenermaßen so bedeutende Künstler seiner Epoche wie Lucas Cranach und Hans Baldung Grien unmittelbar beeinflusst hat, aus der Versenkung der Anonymität herauszuholen. 52 Werke werden ihm derzeit zugeschrieben. Neben einer Reihe von Kirchen in Altbaiern können sich vor allem die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin, das Diözesanmuseum Freising und das Bayerische Nationalmuseum in München rühmen, Arbeiten von "Meister Hanns Bildschnitzer" in ihren Sammlungen zu beherbergen.



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