Ein Prophet ging den "geraden Weg"

Fritz Gerlich, einer der schärfsten Gegner Hitlers, wurde vor 70 Jahren ermordet

Es war am 30.Juni 1934. Adolf Hitler übte beim sogenannten Röhmputsch blutige Vergeltung an den Führern der SA, die angeblich seinen Sturz geplant haben. Fritz Gerlich, seit über einem Jahr im Münchner Polizeigefängnis in Haft, ahnt, dass auch er diesen Tag nicht überleben wird. Hitler wird seine Vergeltungsaktion gegen die SA zur Generalabrechnung auch mit anderen ihm gefährlichen Gegnern nutzen.

Gerlich, 1883 in Stettin geboren, zählt zu den Männern, die Hitler am meisten hasst und fürchtet. Bis zu seiner Inhaftierung am 9. März 1933 war er Herausgeber der Wochenzeitung "Der gerade Weg", in der er wie kein anderer Zeitgenosse dem deutschen Volk die wahren Absichten Hitlers und dessen dämonischen Charakter vor Augen geführt hat.

1920 war der promovierte Historiker, der bis dahin im Bayerischen Staatsarchiv gearbeitet hatte, überraschend Hauptschriftleiter der Münchener Neuesten Nachrichten geworden, Süddeutschlands bedeutendster Tageszeitung. Er stand politisch den Nationalliberalen nahe und unterstützte den Bayerischen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr. Dessen beabsichtigte Rede am 8. November 1923 im Münchner Bürgerbräukeller stammte aus seiner Feder. Gerlich war mit im Saal, als Adolf Hitler mit seinen Schüssen die Veranstaltung zum Putsch umfunktionierte. Er erkannte die Gefährlichkeit Hitlers und seiner Bewegung und wurde von diesem Tag an zum erbitterten Gegner der Nationalsozialisten.

Eine andere Kehrtwendung im Leben Gerlichs ereignete sich, als Erwein Freiherr von Aretin, ein Redakteur seiner Zeitung, im August 1927 über die stigmatisierte Therese Neumann in Konnersreuth schrieb. Der Artikel wurde in 32 Sprachen übersetzt und in aller Welt nachgedruckt. Fritz Gerlich aber plagte die Angst, seine Zeitung könnte über etwas berichtet haben, was sich später als Schwindel herausstellen würde. Er fuhr nach Konnersreuth, um sich selbst ein Bild zu machen und kam fünf Tage später völlig aufgewühlt zurück. Dem erstaunten Aretin offenbarte der calvinistisch erzogene Gerlich, dass er sein Leben lang um die Wahrheit gerungen und um sie gebetet habe. In Konnersreuth sei sein Gebet fast wunderbar erhört worden.

Immer wieder sucht er in der Folgezeit die "Resl" auf und lernt dort die Persönlichkeiten kennen, die seinen weiteren Lebensweg entscheidend beeinflussen und begleiten sollten: den Eichstätter Kapuziner P.Ingbert Naab, Herausgeber mehrerer katholischer Jugendzeitschriften und den Fürsten Erich von Waldburg zu Zeil. Letzteren überzeugte Gerlich von der Notwendigkeit einer Zeitung, die sich gegen radikale Strömungen von links und rechts und für die Anwendung christlicher Grundsätze im öffentlichen Leben einsetzen sollte.

1928 kommt es an Gerlichs 45.Geburtstag zu einem handfesten Krach mit der Verlagsleitung der Münchner Neuesten Nachrichten, der das Ende seiner Tätigkeit bei dieser Zeitung zur Folge hat. Gerlich kehrt zunächst in den Archivdienst zurück. 1930 erwirbt er zusammen mit Fürst Waldburg zu Zeil die verschuldete Zeitschrift "Illustrierter Sonntag", ein Skandalblättchen, das er in ein politisches Kampfblatt umwandelt. Als wichtigsten Mitarbeiter gewinnt er P.Ingbert Naab, bei dem er zur gleichen Zeit Konvertitenunterricht nimmt. Am 29.September 1931, dem Fest des Erzengels Michael, konvertiert er in der Eichstätter Kapuzinerkirche zum katholischen Glauben.

Zum Jahreswechsel 1931/32 ändert Gerlich den Namen seiner Zeitung. Den neuen Titel "Der gerade Weg" kommentiert Ingbert Naab: "In unserem Kampf für die Wahrheit haben wir das Beispiel der Propheten vor Augen. Ihre Aufgabe war es, in Zeiten größter Katastrophen sich mit unbeugsamem Mut vor Land und Volk hinzustellen... Die Propheten laufen nie mit der Mehrheit. Sie bekommen im Gegenteil das Geschick der Vereinsamung furchtbar bitter zu spüren ... Die Propheten aber müssen den geraden Weg weitergehen ohne Rücksicht auf Zustimmung oder Ablehnung..."

Fritz Gerlich und Ingbert Naab gehen diesen Weg unerschrocken. Ein Beispiel ist Ingbert Naabs offener Brief vom März 1932 "Herr Hitler, wer hat Sie gewählt?" Er erinnert darin Hitler an sein Gewissen und an Gott. Über 1000 Zeitungen drucken diesen Beitrag in einer Auflage von rund 20 Millionen Exemplaren nach. In zahleichen Leitartikeln nennt Gerlich den Nationalsozialismus eine "Pest" und die Nazis "Hetzer, Verbrecher und Geistesverwirrte". Der Nationalsozialismus bedeute "Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Inneren, Bürgerkrieg, Völkerkrieg..." Hitler ist für ihn ein "Bankrotteur" und er sieht in scharfsichtigen, klar durchdachten Analysen den "Konkurs des Dritten Reiches" voraus.

Als Hitler 1933 die Macht ergreift, sind die Tage des "Geraden Weg" gezählt. Am 9.März, dem Tag, an dem in Bayern Ministerpräsident Held abgesetzt wird und Hitlers Reichskommissar von Epp die Regierung übernimmt, stürmen gegen Abend SA Leute die Redaktion des "Geraden Weg" im Hause Hofstatt 5 der Manz'schen Verlagsanstalt. Dort befand sich auch die Redaktion der Katholischen Kirchenzeitung. Sie laden alles geschriebene und gedruckte Material, das sie vorfinden, auf Lastwagen, schlagen und verhaften Fritz Gerlich. Er wird in das Münchner Polizeigefängnis gebracht, wo er mehr als ein Jahr in Haft bleibt, bis zu diesem 30. Juni 1934. Gerlichs Befürchtungen werden Wirklichkeit. Gegen Mitternacht holen ihn zwei Männer in Zivil und bringen ihn im Auto ins KZ Dachau, wo ihn ein SS-Mann kurz nach seiner Ankunft in einer Zelle erschießt.

Fritz Gerlich starb wie ein Märtyrer in einem unerbittlichen Kampf nicht nur gegen Irrwege der Politik, sondern gegen einen gewaltigen Aufmarsch satanischer Kräfte der Lüge und der Gewalt, durch die Deutschland, wie er prophetisch vorhersah, ins Unglück gestürzt werden sollte. Die Triebkraft für sein Handeln war sein einmal als wahr erkannter und konsequent gelebter christlicher Glaube.

Karl Grüner

zurück